Hervorragend recherchierter Bericht von waffenkultur zum Thema Zielfernrohr – Mythen und Wahrheiten bei diesen 56er Optiken
Von Henning Hoffmann – Quelle, auch alle weiteren Online Zeitschrift Ausgaben: http://waffenkultur.com
Der Bericht aus Ausgabe 48 als pdf zum DownloadWir bedanken uns sehr herzlich für die Erlaubnis, diesen Bericht zu veröffentlichen.
Die Bildqualität eines Zielfernrohrs hängt von mehreren Faktoren ab. Der ObjektivdurchmesserJe größer der Objektivdurchmersser ist, umso mehr Licht kann vom Objektiv der Optik aufgenommen werden. Die Glasreinheit spielt eine grosse Rolle. » Mehr Info ist dabei nicht das entscheidende Kriterium. Am Ende ist er nur eine „Begleiterscheinung“ und kein Qualitätsmerkmal per se
„Zielfernrohre mit einem 56-mm ObjektivWird über das Objektiv eines Fernglases geredet, ist die Frontlinse gemeint. Die Frontlinse ist die vorderste Linse des Objektivs. » Mehr Info sind besonders lichtstarkBei Nachtgläser, die sich ideal für den Ansitz und als Sauenglas eignen, ist in erster Linie die Lichtstärke ein ausschlaggebendes Merkmal. » Mehr Info und bieten daher auch bei widrigsten Lichtverhältnissen eine hervorragende Sicht.“, diesen oder ganz ähnlichen Unsinn hat bestimmt jeder schon einmal beim renommierten Händler gehört. Es ist natürlich einfach, im Verkaufsgespräch auf ein offensichtliches Konstruktionsmerkmal eines Zielfernrohrs hinzuweisen.
Für den Käufer ist die Sache damit glasklar und auch noch so schön logisch:
- Größere Öffnung ist gleich mehr Licht. So einfach kann Physik sein. Und schon ist man mit ausreichend Fachwissen fürs Long Range Schießen oder die Dämmerungsjagd gewappnet.
- Am Ende verlässt der übertölpelte Kunde das Geschäft mit einem überteuert gekauften Zielfernrohr in seiner Einkaufstüte, dass vermutlich nicht einmal seinem eigentlichen Verwendungszweck gerecht werden wird.
Metapher: Als in den 1980er-Jahren die ersten TurboBenzinmotoren mit bis dato ungeahnten Motorleistungen im Straßenverkehr auftauchten, stiegen die Kraftstoffverbräuche sprunghaft an. Um eine adäquate Reichweite zu gewährleisten, mussten die Hersteller größere Benzintanks verbauen. Alpina BMW vergrößerte das Kraftstoffgefäß mittels 30-Liter-Zusatztank sogar auf über einhundert Liter.
Hier kommt die schlechte Nachricht: Nur weil ein Auto einen großen Tank hat, ist es noch lange kein Alpina BMW. Der größere Tank war lediglich eine Begleiterscheinung der hohen Motorleistung; kein Qualitätsmerkmal für leistungsstarke Autos per se.
Im übertragenen Sinne bedeutet das, ein 56-mm-Objektiv macht noch lange kein lichtstarkes Long Range Zielfernrohr. Wie im Folgenden anhand der Kriterien AustrittspupilleFür das Sehen in der Dämmerung (Dämmerungssehen) von großer Bedeutung ist, neben der Dämmerungszahl, auch die Fernglas Austrittspupille am Okular des Fernglases. » Mehr Info, DämmerungszahlUm auch im Dämmerungslicht Details über große Entfernungen erkennen zu können, empfiehlt sich ein Fernglas mit hoher Vergrößerung und entsprechender Dämmerungsleistung (z.B. 10x56 oder 8x56). » Mehr Info, LichttransmissionLichtdurchlässigkeit nennt man die Fähigkeit von optischen Glas bzw. optischen Systemen, möglichst viele Lichtstrahlen "durchzulassen". » Mehr Info und Brennweite sowie unter Zuhilfenahme physikalischer Gesetzmäßigkeiten erklärt wird.
Kriterium 1: Austrittspupille (AP) bei Zielfernrohren
Als Austrittspupille bezeichnet man den Durchmesser des StrahlenbĂĽndels, der das OkularDas Okular ist die Linsengruppe einer Optik, die dem Auge zugewandte ist. Die Okulare bestehen aus mehreren separaten Linsen - aus Achromaten (3-6 Einzellinsen). » Mehr Info verlässt. Die Austrittspupille entspricht dem Quotienten aus Objektivdurchmesser und VergrößerungDie Vergrößerung eines Fernglas-Modells ist vielleicht die am meisten miĂźverstandene Eigenschaft. Hohe Vergrößerungen können nĂĽtzlich sein!. » Mehr Info. Bei einem Zielfernrohr der Dimension 8×56 beträgt die AP demnach sieben Millimeter; bei einer ZF-Dimension von 10×50 noch fĂĽnf Millimeter.
Die Austrittspupille ist aber lediglich das bildseitige Bild. Die andere Seite der Gleichung ist das menschliche AugeDie Netzhaut unserer Augen verfügt über zwei unterschiedliche Arten von Sinneszellen oder Rezeptoren, zum einen die Zapfen (für das Tagsehen) und zum anderen die Stäbchen (für das Nachtsehen). » Mehr Info selbst und entscheidend für die wahrnehmbare Bildhelligkeit. Nur der Teil des Lichtstroms, der auch vom Auge aufgenommen werden kann, trägt zur Bildhelligkeit bei.
Die durchschnittliche maximale Pupillenweite eines Menschen hängt ab vom Lebensalter. Liegt sie bei einem Jugendlichen noch bei 1,5 Millimeter (Tagsehen) und maximal acht Millimeter (Nachtsehen), so reduziert sich die maximale Öffnungsweite bei Erwachsenen auf vier bis sechs Millimeter.
Einem 80jährigen Greis bleiben nur noch etwa zwei Millimeter Pupillenweite beim Nachtsehen. Die 7-mm-Austrittspupille des 8×56 Zielfernrohrs kann demnach kaum ein Erwachsener noch aufnehmen. FĂĽr ihn bringt daher die ZF-Dimension 10×50 keinen wahrnehmbaren Nachteil.
Zwei tatsächlich sinnvolle Faustregeln hierbei: Die Austrittspupille sollte immer mindestens so groß sein wie die Pupille des Beobachters oder Schützen. Und eine Austrittspupille von weniger als vier Millimeter ist bei nachlassendem Licht grundsätzlich ungeeignet. Egal, wie hoch die Dämmerungszahl ist.
Die Dämmerungszahl besitzt keine Aussagekraft
GĂĽte einer Austrittspupille
Die Güte von Austrittspupillen kann schnell taxiert werden: Das Fernglas mit ausgestrecktem Arm gegen eine helle Fläche halten und die Okulare betrachten. So werden die Austrittspupillen sichtbar. Bei einem guten Fernglas sind diese absolut kreisförmig, im Rand scharf und gleichmäßig hell.
Eckige Formen und Abschattungen (Vignettierungen) sind ein Indikator für kleine PrismenLinsen haben die Eigenschaft, Objekte auf dem Kopf stehend und seitenverkehrt abzubilden - deshalb muss das Bild wieder gedreht werden. » Mehr Info oder GlasDie Glasqualität bzw. Glassorte ist neben der Beschichtung von Optiken eine der wichtigsten Qualitätsfaktor bei Ferngläsern und Zielfernrohren » Mehr Info mit geringer Brechzahl und damit minderwertige Qualität.
Kriterium 2: Dämmerungszahl bei Zielfernrohren
Die Dämmerungszahl ist die Wurzel aus dem Produkt von Vergrößerung und Objektivdurchmesser. Sie ist somit eine rein rechnerische Größe und lässt Leistungsdaten wie Bildschärfe, Kontrast, Lichttransmission, Farbwiedergabe unberücksichtigt.
Die mangelhafte Aussagekraft der Dämmerungszahl, die besonders Jägern im deutschen Sprachraum als Orientierungshilfe dient, zeigt eine Beispielrechnung:
Alle Ferngläser der Dimension 8×56 haben eine Dämmerungszahl von 21,2; unabhängig von deren GĂĽte oder Anzahl der verbauten LinsenDer Einsatz von asphärischen Linsen fĂĽhrt zur Verringerung der Baulänge des Fernglases sowie teils zu einer wesentliche Reduzierung des Gewichtes. » Mehr Info und deren Beschichtung.
Selbst ein Fernglas in 56×8 hätte eine identische Dämmerungszahl von 21,2. Ein Fernglas in 56×8 ist offenkundiger Unsinn und auch nirgends verfĂĽgbar. Die Dämmerungszahl besitzt demnach keine Aussagekraft.
Bei Zielfernrohren weicht die Berechnung der Dämmerungszahl von der für Ferngläser ab. In diesem Fall wird nur die Objektivöffnung berücksichtigt, die eine maximal acht Millimeter große Austrittspupille ergibt. Denn mehr Licht könnte selbst ein sehr junger Schütze nicht nutzen.
Dazu ein konkretes Beispiel:
Der jagdliche Allrounder 3-12×56 hat bei einer 3-fach Vergrößerung eine theoretische Austrittspupille von 18,7 Millimeter (56 Millimeter Objektivdurchmesser geteilt durch drei). Kein menschliches Auge ist in der Lage, eine so groĂźe Objektivöffnung und die daraus resultierende Austrittspupille effektiv zu nutzen.
Daher wird zuerst die Objektivöffnung berechnet, die bei 3-fach Vergrößerung eine 8-mm-Austrittspupille ergeben würde. Das sind 24 Millimeter. Bei Stellung 3-fach ergibt sich damit rein rechnerisch eine Dämmerungszahl von 8,5 (Wurzel aus dem Produkt von drei und 24).
Kriterium 3: Lichttransmission bei Zielfernrohren
Die Lichttransmission ist der „Lichtdurchlassungsgrad“. Die Transmission benennt in Prozent, welcher Anteil des einfallenden Lichts im Okular wieder austritt. In einer Zieloptik kommt es immer zu Lichtverlusten. Entscheidend ist, wie groß diese Verluste ausfallen.
Diese Transmission zu errechnen, ist unter Laborbedingungen mit viel Aufwand machbar. Mit mehreren hundert Messungen werden die Durchschnittswerte fĂĽr die Spektralfarben identifiziert und das Ergebnis mit der Empfindlichkeit des menschlichen Auges hinsichtlich Farben bewertet. Dabei wird zwischen Tagund Nachttransmission unterschieden.
Premiumgläser liegen heute in der Regel jenseits der 90 Prozent Transmission. Ein ZEISS Victory 8×56 T* FL liefert beispielsweise 94 Prozent Lichttransmission, die fĂĽr die Nachtjagd beliebten Zielfernrohre der HT-Serie von ZEISS liegen laut Hersteller bei 95 Prozent.
Die Güte und die Art der Entspiegelungsbeschichtung der verbauten Gläser spielt eine Rolle, denn die Lichttransmission wird beeinflusst von Reflexen bzw. speziellen Antireflexvergütungen auf der Glasoberfläche.
Ein Beispiel stellt die ZEISS T* Mehrschichtvergütung auf allen Glas-Luft-Flächen dar. Dieses Mehrschichtverfahren mit seinem 6-schichtigen AufbauDie verschiedenen Arten der DDoptics Ferngläser Ferngläser lassen sich vom grundsätzlichen Aufbau in zwei Hauptarten einteilen: Konstruktion mit Dachkant Prisma (verschiedene Konstruktionsformen) oder mit Porro Prisma. Beide Bauarten besitzen ihre einzigartigen Vorteile und Nachteile. Grundsätzlich können Porro- und Dachkantferngläser je nach Glassorten (BAK 4, Kronglas, usw.), Vergütungsaufwand und Herstellungsqualität die gleiche Leistung bieten. Die Details entscheiden ob es sich um ein gutes Fernglas » Mehr Info wird dabei individuell auf einzelne Linsen und Glasmaterialien abgestimmt. Über einhundert im Hochvakuum aufgedampfte Schichten pro Glasseite sind dabei üblich. Eine solche Beschichtung berücksichtigt auch die erhöhte Blauempfindlichkeit des Auges in der Dämmerung und unterstützt so dabei, möglichst viel Licht rauszuholen.
FĂĽr die Lichttransmission ist der Objektivdurchmesser belanglos
Als Endkunde kann man nicht wissen, welche Standards ein Hersteller bei der Ermittlung der Lichttransmission hat und wie die Messergebnisse entstehen. 95 Prozent Lichttransmission im Durchschnitt bei einer sehr hohen und damit repräsentativen Anzahl von Messungen unter identischen Laborbedingungen und vorab exakt definierten Lichtverhältnissen (typisch für Dämmerung oder eine mondhelle Nacht) werden ihr Versprechen auch in der Praxis einlösen.
Pickt eine findige (oder verzweifelte) Marketingabteilung stattdessen ein einsames Spitzenergebnis einer Tagmessung heraus und gibt dieses dann ohne weitere Erklärung als Lichttransmission an, wird der Anwender eine Enttäuschung erleben.
Das Kriterium Lichttransmission wird daher zumindest fĂĽr Endanwender aufgrund unzureichender Informationsbasis zu einem Nullargument.
Kriterium 4: Brennweite bei Zielfernrohren
Die Brennweite meint hier den Abstand zwischen der Objektivlinse und den Linsen in der ersten Bildebene. Dieser Abstand hat maßgeblichen Einfluss auf die Bildqualität eines Zielfernrohrs. Je größer der Abstand, desto besser die Bildqualität, weil die Objektivlinse die Lichtstrahlen nicht so aggressiv bündeln muss.
Die Abbe-Zahl, benannt nach dem deutschen Physiker Ernst Abbe, dient als dimensionslose Größe zur Charakterisierung der lichtbrechenden Eigenschaften von optischen Gläsern. Eine hohe Abbe-Zahl steht für geringe Dispersion und deutet auf eine hohe LinsenvergütungTrifft Licht auf eine Glas-Luft-Fläche z.B. bei einem Dachkantprisma), entsteht durch die Reflektion ein Lichtverlust. » Mehr Info hin.
Entstehen beim Brechen von Lichtwellen Abbildungsfehler, nennt man das chromatische Aberration. Eine mögliche Gegenmaßnahme bei chromatischer Aberration, ist das Zusammenfügen mehrerer Linsen zu einer Linsengruppe.
Eine kurze Brennweite im ZF ermöglicht die seit einigen Jahren am Markt verfügbaren Zielfernrohre in (Ultra-) kurzer Bauweise. Eine hohe Bildqualität muss hier allerdings mit einem Bündel mehrerer Objektivlinsen erkauft werden. Premiumanbieter verbauen nicht selten zwei oder gar drei Objektivlinsen, um die chromatische Aberration zu mindern. Darüber hinaus sind die Linsen anti-dispersionsbeschichtet. Beide konstruktiven Merkmale erhöhen den Fertigungsaufwand enorm, wodurch das ZF entsprechend hochpreisig wird.
Zielfernrohre mit einer langen bzw. normalen Brennweite hingegen liefern auch ohne diesen optischen Extraaufwand eine entsprechend hohe Bildqualität.
Je größer die Linse, desto schwieriger ist die Aberration zu minimieren. Preiswerte, aber große Linsen werden immer deutlich weniger Bildqualität erzeugen, als preiswerte kleine Linsen. Spielt das Budget bei der ZF-Beschaffung wirklich eine tragende Rolle (was es nie tun sollte), ist der Endanwender besser beraten, ein Zielfernrohr mit einem Objektivdurchmesser kleiner als 45 Millimeter zu beschaffen bei gleichzeitig langer Brennweite.
Noch einmal: Die Bildqualität eines ZF steigt nicht proportional mit seinem Objektivdurchmesser.
Kriterium 5: Objektivdurchmesser
Der Objektivdurchmesser diente bisher lediglich als eine von zwei Basisgrößen bei der Berechnung von Austrittspupille und Dämmerungszahl. Kriterien also, die ohne Aussagekraft zur Qualität, Güte oder Leistungsfähigkeit eines Zielfernrohrs sind.
Für die Lichttransmission ist der Objektivdurchmesser belanglos. Denn Lichttransmission wird maßgeblich durch die Güter und die Anzahl der verbauten Linsen beeinflusst.
Leitfaden zum Zielfernrohr Kauf
Vor allem sollte vorm Kauf der Verwendungszweck klar definiert sein. Es gibt kein „All-round“-Zielfernrohr. Jeder Einsatzzweck ist speziell und verlangt nach einem zweckdienlichen ZF. Man erkauft sich nicht automatisch ein Mehr an Zweckdienlichkeit, nur weil das ZF überdurchschnittlich teuer am Markt angeboten wird. Von Extrem-Kriterien, wie bspw. extreme Zoom-Faktoren, extrem kurze Bauweisen oder von extremen Objektivdurchmessern ist generell abzuraten.
Fazit
In kaum einem anderen Marktsegment wird mit so viel Halbwissen und Scharlatanerie verkauft, wie bei Zielfernrohren. Sobald in einem Beratungsgespräch über Zielfernrohre auf die Dämmerungszahl abgestellt wird oder die Phrase vom „lichtstarken ZF aufgrund 56-mm-Objektiv“ bemüht wird, sollte das Gespräch abgebrochen und der Verkaufsraum schnellstmöglich verlassen werden.
Bemerkung
Alle im Artikel vorgestellten Zielfernrohre sind Kaufempfehlungen. Zum Teil werden die ZF seit mehreren Jahren erfolgreich im Praxistest genutzt.